Aufgabe und Wesen des Rechts

Jedes Zusammenleben von Menschen bedarf einer gewissen Ordnung. Ohne Ordnungsregeln könnte jeder frei schalten und walten: Ein Chaos wäre die Folge und das Faustrecht würde regieren. Daher greift der Staat ordnend ein und erlässt Verhaltensvorschriften mit Befehlscharakter, die man als Rechtsordnung bezeichnet. Das menschliche Verhalten in der Gemeinschaft wird aber nicht allein durch das Recht, sondern auch durch Sitte und Moral bestimmt. Erstrebenswert ist, dass sich das Recht und die Sitten- und Moralordnung weitgehend decken. Klaffen sie zu weit auseinander, so ergeben sich unweigerlich gesellschaftliche Spannungen (z.B. Konkubinat, Abtreibung).

Die Gesamtheit aller Vorschriften (Gebote und Verbote), die der Staat erlässt und deren Befolgung er erzwingt, wird als Rechtsordnung bezeichnet. Selbstverständlich können die Rechtsordnungen von Land zu Land unterschiedlich gestaltet sein. Die Rechtsordnung der Schweiz ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • Die Rechtsordnung ist nicht etwas Willkürliches, sondern sie wächst aus dem Bestreben der Bürger, ihr Zusammenleben zu ordnen. Sie muss also dem Volksempfinden entsprechen und von der grossen Mehrheit des Volkes getragen werden. Sie soll die Menschen vor Willkür und Missbrauch der Gewalt schützen, den Grundsatz von Treu und Glauben, Recht und Billigkeit garantieren.
  • Die Rechtsordnung widerspiegelt eine bestimmte Weltanschauung: Eine liberale Rechtsordnung mit dem Einzelmenschen im Mittelpunkt (z.B. im Unterschied zur Rechtsordnung in den kommunistischen Staaten mit dem Kollektiv im Mittelpunkt).
  • Die Rechtsordnung ist etwas Veränderliches, denn langfristig wandelt sie sich unter dem Einfluss veränderter Gewohnheiten, Moralvorstellungen und Lebensumstände (z.B. Rolle der Frau). Weil sich die Verhältnisse ändern, muss sich auch das Recht der Zeit anpassen. Alte Gesetze werden abgeändert (ergänzt), und neue Gesetze entstehen (z. Vorschriften über den Abzahlungskauf, Neuregelung des Ehe- und Kindesrechts, Umweltschutzgesetz).
  • Das Recht muss erzwingbar und durchsetzbar sein. Falls die Menschen das Recht nicht freiwillig einhalten, muss man es nötigenfalls mit Zwangsgewalt durchsetzen können. Sonst wäre die ganze Rechtsordnung illusorisch und jeder könnte wieder machen, was er wollte.

Im Unterschied zu Sitte und Moral wird die Rechtsordnung planmässig gestaltet und durch die Auffassungen, Ideen und Interessen seiner Schöpfer bewusst in einer bestimmten Richtung geprägt. Das geschriebene Recht strebt gewissermassen eine Soll-Ordnung an, d.h. es soll ein bestimmter, erwünschter Zustand erreicht werden. Damit aber die Rechtsordnung überblickbar bleibt, kann man nicht jeden einzelnen möglichen Fall regeln. Die Rechtsvorschriften werden deshalb abstrakt, allgemein gültig formuliert. Sie sind jeweils sinngemäss auf den einzelnen konkreten Rechtsfall anzuwenden. Zwecks Vermeidung eines Schematismus wird der rechtsanwendenden Behörde zur Beurteilung des Tatbestandes oft ein gewisser Spielraum in die Hand gegeben. Solche Vorschriften erkennt man an der Formulierung „unter Würdigung aller Umstände“ oder „im Ermessen des Richters“.

Wohl spielen Sitte und Moral im täglichen Leben immer noch eine grosse Rolle, aber sie genügen je länger je weniger, um die komplizierte, moderne Lebensweise zu bewältigen. Die Rechtsvorschriften werden deshalb immer zahlreicher, umfassender und komplizierter. Dafür gibt es verschiedene Gründe: 

  • Starke Zunahme der Bevölkerung: Dadurch entstehen beim Zusammenleben der Menschen automatisch immer mehr Probleme und Konflikte.
  • Die rasante technische Entwicklung bringt immer komplexere Probleme hervor, die zu lösen sind (z.B. Datenschutz, Umweltschutz, Kernenergie).
  • Dem Staat werden immer mehr Aufgaben übertragen, die der einzelne Bürger selber nicht mehr erfüllen kann oder will (z.B. soziale Sicherheit wie AHV, IV, Arbeitslosenversicherung).
  • Bestimmte Interessengruppen erwarten vom Staat eine Hilfe (z. B. Mieterschutz, Schutz der Landwirtschaft).
  • Die Bereitschaft zur Selbstverantwortung sinkt, und der sogenannte „gesunde Menschenverstand“ fehlt oft (z.B. Verkehrsvorschriften, Verbot der Spielautomaten, zahlreiche Schutzbestimmungen zugunsten der Schwächeren).
  • Ablehnende Haltung gegenüber Anordnungen des Staates: Dadurch muss das Verhalten zwischen dem Staat und dem Bürger immer detaillierter geregelt werden.

Bekanntlich lebt der Mensch nicht für sich allein, sondern in einer Gemeinschaft. Der Staat stellt eine solche Gemeinschaft dar und verfolgt dabei bestimmte Ziele:

  • Behauptung der Unabhängigkeit
  • Gewährung und Sicherung der Freiheit und Würde des Menschen
  • Politische Mitbestimmung der Bürger
  • Soziale Sicherheit und sozialer Ausgleich unter den Menschen

Damit der Staat nicht schalten und walten kann wie er will, ist die staatliche Tätigkeit auch zu reglementieren. Dadurch wird ein Staat zum Rechtsstaat und wird durch folgende Merkmale charakterisiert:

  • Legalitätsprinzip: Die staatlichen Organe sind in ihrer Tätigkeit streng an die Verfassung und an die Gesetze gebunden.
  • Gewaltentrennung: Damit der Staat nicht zu mächtig wird, ist die Staatsgewalt auf verschiedene Behörden zu verteilen, die letztlich direkt oder indirekt durch das Volk kontrolliert werden. Die klassische Gewaltentrennung sieht die Aufteilung in drei Gewalten vor:
    • die Legislative oder gesetzgebende Gewalt (das Parlament)
    • die Exekutive oder ausführende (rechtsanwendende) Gewalt (die Regierung)
    • die Judikative oder richterliche Gewalt (die Gerichte)
  • Zahlreiche Freiheitsrechte der Bürger, wodurch die Macht des Staates begrenzt wird.

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