Allgemeine Rechtsgrundsätze

In den ersten zehn Artikeln des ZGB (Einleitungsartikel) sind einige bedeutsame allgemeine Regeln für die Anwendung des Rechts festgehalten. Von Interesse sind:

  • Anwendung des Rechts (Art. 1 ZGB)

Zur Beurteilung von privatrechtlichen Streitigkeiten stehen dem Richter drei Rechtsquellen zur Verfügung: Das geschriebene Recht (Verfassung, Gesetze, Verordnungen), das Gewohnheitsrecht (Bräuche, Usanzen) und die richterliche Rechtsfindung. Bei seinen Entscheiden hat der Richter bewährte Lehre (wissenschaftliche Erörterung) und Überlieferung (frühere Gerichtsurteile) zu berücksichtigen.

  • Handeln nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB)

Darunter versteht man das Handeln nach der Art und Sitte ehrlicher Leute bei der gesamten Rechtsausübung (-> Vertrauensprinzip). Unredliches Handeln und offenbarer, eindeutiger Rechtsmissbrauch (-> Buchstabengerechtigkeit) finden keinen Rechtsschutz.

  • Der gute Glaube wird vermutet (Art. 3 ZGB)

Bei der Beurteilung eines rechtlichen Sachverhaltes darf man davon ausgehen, dass jeder Beteiligte gutgläubig gehandelt hat, d.h. dass er sich nicht bewusst war, dass ein Rechtsmangel (etwas Ungereimtes) vorlag. Das Gegenteil ist bösgläubig und wird nicht geschützt. Bösgläubig ist jemand dann, wenn er im vollen Wissen um die Verbotenheit bzw. Unkorrektheit des Tuns etwas trotzdem macht (z.B. ein Hehler).

  • Richterliches Ermessen (Art. 4 ZGB)

Soweit das Gesetz zur Beurteilung eines Rechtsproblems einen Spielraum offenlässt, hat der Richter nach seinem Ermessen zu urteilen, d.h. er hat die Verhältnisse und Umstände zu würdi­gen und die Interessen der Beteiligten gegenseitig abzuwägen. Der Entscheid sollte dem Einzelfall möglichst angepasst sein.

  • Beweislast (Art. 8 ZGB)

Grundsätzlich hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet, d.h. wer etwas geltend machen will, muss es beweisen können. Die Praxis zeigt, dass viele Rechtsverletzungen nicht eingeklagt werden können bzw. bereits eingeleitete Prozesse verloren werden, weil die betreffende Partei die von ihr behaupteten Tatsachen nicht beweisen kann, obwohl sie tatsächlich vorliegen.

  • Beweis durch öffentliche Register und Urkunden (Art. 9 ZGB)

Öffentliche Register (z.B. das Grundbuch, das Handelsregister) und öffentliche Urkunden (z.B. bei einem Notar abgeschlossene Verträge) erbringen den vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen werden kann.

  • Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter

Bei privatrechtlichen Streitigkeiten (z.B. bei Vertragsverletzungen) greift ein Gericht stets nur dann ein, wenn sich eine Partei wehrt und eine Klage einreicht. Wer sich nicht wehrt, kann auch keine Hilfe erwarten.

  • Rechtsunkenntnis schadet

Man kann sich niemals darauf berufen, eine Rechtsvorschrift nicht gekannt zu haben. Auch lassen sich Unannehmlichkeiten eher vermeiden, wenn man sich im Recht ein bisschen auskennt. Bei Rechtsstreitigkeiten wird man allerdings mit Vorteil einen Fachmann beiziehen (Rechtsanwalt).